Praxishinweise zum Arbeitskampf – Konkurrierende Gewerkschaften 

Konkurrierende Gewerkschaften, Tarifkollisionen, Streikmaßnahmen mehrerer Gewerkschaften – leistet das Tarifeinheitsgesetz Abhilfe? 

Fachautoren

  • Dr. Angela Emmert

  • Daniel Hennig

Arbeitgeber können an Tarifverträge unterschiedlicher Gewerkschaften gebunden sein. Eine solche sog. Tarifkollision stellt Arbeitgeber regelmäßig vor erhebliche Herausforderungen – wie nicht zuletzt auch der derzeitige Tarifkonflikt zwischen der DB und den konkurrierenden Gewerkschaften EVG und GDL zeigt. Das 2015 in Kraft getretene Tarifeinheitsgesetz leistet nur bedingt Abhilfe. Dieser Beitrag soll Hilfestellungen geben, worauf zu achten ist, wenn im Betrieb bzw. im Unternehmen verschiedene Tarifwerke gelten. Dies gilt insbesondere auch bei Streikmaßnahmen mehrerer Gewerkschaften. 

Ausgangspunkt des Tarifeinheitsgesetzes ist das betriebsbezogene Mehrheitsprinzip

Ziel des Tarifeinheitsgesetzes Gesetzes ist es, Tarifpluralitäten möglichst zu vermeiden – auf Arbeitnehmer* eines Betriebs sollen gerade nicht verschiedene Tarifverträge Anwendung finden. Vielmehr soll der Grundsatz „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“ gelten. Dabei gilt es aber gleichwohl, den Gewerkschaften ihre grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit weiterhin zu ermöglichen. 

Der als Kernelement des Tarifeinheitsgesetzes eingeführte § 4a Tarifvertragsgesetzes (TVG) bestimmt daher, dass soweit sich die Geltungsbereiche nicht inhaltsgleicher Tarifverträge verschiedener Gewerkschaften überschneiden (kollidierende Tarifverträge), im Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar sind, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen kollidierenden Tarifvertrags im Betrieb die meisten in einem Arbeitsverhältnis stehenden Mitglieder hat (sog. Mehrheitstarifvertrag). 

Nach 

§ 4a TVG

 findet also nur der Tarifvertrag der Gewerkschaft Anwendung, die die meisten (Gewerkschafts-)Mitglieder hat. Bei der Feststellung der Anzahl der Gewerkschafts-Mitglieder ist eine betriebsbezogene Betrachtung maßgeblich. Es kommt bei der Feststellung der Mehrheiten allein auf die Anzahl der im (jeweiligen) Betrieb gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten an. Dies kann dazu führen, dass in einem Unternehmen mit mehreren Betrieben unterschiedliche Tarifverträge zur Anwendung kommen. 

Feststellung der Mehrheit im Betrieb

Für die Feststellung der Mehrheit der Gewerkschaftsmitglieder hat der Gesetzgeber ein besonderes Beschlussverfahren geschaffen (§ 99 ArbGG). Das Verfahren kann auf Antrag einer Partei eines kollidierenden Tarifvertrages eingeleitet werden.

In der Praxis stellt sich die Frage, wie der Arbeitgeber die Mehrheiten im Betrieb im Streitfall eigentlich ermitteln, geschweige denn beweisen soll. Arbeitgeber haben regelmäßig keine Kenntnis darüber, ob ein Beschäftigter Gewerkschaftsangehöriger ist und in welcher Gewerkschaft er Mitglied ist. Die Frage nach der Gewerkschaftszugehörigkeit ist in der Regel unzulässig. Insoweit leistet allerdings § 58 Abs. 3 ArbGG Abhilfe. Die Anzahl der in der jeweiligen Gewerkschaft organisierten Beschäftigten im Betrieb kann durch eine notarielle Erklärung nachgewiesen werden. Auf Hinwirken des Arbeitgebers muss die vermeintliche Mehrheitsgewerkschaft dem Notar die Mitgliederliste vorlegen. Der Notar stellt dann die Anzahl der Mitglieder in einer notariellen Erklärung fest. So wird sichergestellt, dass die Gewerkschaft die Namen ihrer Gewerkschaftsmitglieder nicht offenlegen muss und gleichwohl eine verlässliche Ermittlung der Anzahl möglich ist. 

Auch bei individuellen arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen – z.B. beim Streit darüber, welcher Tariflohn zu gewähren ist – ist die notarielle Bestätigung das geeignete Mittel zur Feststellung der Mehrheiten. 

Entscheidungserheblicher Zeitpunkt für die Feststellung der Mehrheitsverhältnisse im Betrieb ist der Abschluss des letzten kollidierenden Tarifvertrags. Eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse nach dem Stichtag ist so lange bedeutungslos, bis erneut eine Tarifkollision entsteht. Gewerkschaftswechsel sowie Ein- und Austritte von Beschäftigten führen also nicht dazu, dass die Mehrheitsfrage erneut zu prüfen ist. 

Die Bestimmungen des Minderheitstarifvertrages sind (nicht mehr) anwendbar

Der Umkehrschluss der Anwendung der Bestimmungen des Mehrheitstarifvertrages im Betrieb ist, dass die Rechtsnormen des sog. Minderheitstarifvertrages nicht (mehr) zur Anwendung kommen. Der Minderheitstarifvertrag wird jedoch nicht unwirksam – er findet lediglich für die Dauer der Kollisionslage kraft Gesetzes keine Anwendung. In der Praxis wird allerdings oftmals außer Acht gelassen, dass sich die Verdrängungswirkung nur auf die normativen Teile des Minderheitstarifvertrages gemäß § 4 Abs. 1 TVG erstreckt. Soweit sich die Anwendung des Minderheitstarifvertrages aus einer arbeitsvertraglichen Bezugnahme ergibt, ändert § 4a TVG hieran nichts. Um eine Ablösung der Bestimmungen des Minderheitstarifvertrages und eine Harmonisierung der Arbeitsbedingungen im Betrieb zu erreichen, bedarf es insoweit dann zusätzlich der Änderungsvereinbarungen mit den Arbeitnehmern. Bestenfalls sind die Bezugnahmeklausen bereits so formuliert, dass sie auch einer Verdrängung eines Minderheitentarifvertrags in einer Kollisionslage Rechnung tragen.  

Für die Mitglieder der Minderheitsgewerkschaft gelten mit der fehlenden Anwendbarkeit des Minderheitentarifvertrags damit aber noch nicht automatisch (normativ) die Bestimmungen des Mehrheitstarifvertrags. Denn hierfür fehlt es an der Mitgliedschaft der Arbeitnehmer in der Mehrheitsgewerkschaft. Zu einer normativen Geltung kommt es nur dann, wenn die Minderheitengewerkschaft den Tarifvertrag der Mehrheitsgewerkschaft nachzeichnet (siehe hierzu sogleich). 

Es erfolgt keine Verdrängung des Minderheitentarifvertrags, wenn die Interessen der Minderheiten nicht ausreichend berücksichtigt wurden

Ausnahmsweise wird der Minderheitstarifvertrag nicht verdrängt, wenn „beim Zustandekommen des Mehrheitstarifvertrags die Interessen von Arbeitnehmergruppen, die von dem nach dem ersten Halbsatz nicht anzuwendenden Tarifvertrag erfasst werden, nicht ernsthaft und wirksam berücksichtigt“ wurden (§ 4a Abs. 2 S. 2 2. Teil TVG). Immer noch nicht abschließend geklärt ist, welche Anstrengungen die Tarifvertragsparteien unternehmen müssen, um das Gebot der ernsthaften und wirksamen Interessenberücksichtigung zu erfüllen. Die Gesetzesbegründung sieht insoweit vor, dass „in der Tarifpraxis die Interessen der verschiedenen Arbeitnehmergruppen zum Beispiel mittels im Vorfeld der Tarifverhandlungen liegender Beteiligungsverfahren ernsthaft und wirksam berücksichtigt“ werden können (BT-Drs. 19/6146, 31 f.). 

Auch die konkurrierende Gewerkschaft hat das Recht, am Verfahren teilzunehmen

Die gesetzlichen Verfahrensrechte der konkurrierenden Gewerkschaft sind arbeitgeberseitig ebenfalls zu berücksichtigen: 

  • Nach § 4a Abs. 4 TVG kann die Minderheitsgewerkschaft, d.h. die Gewerkschaft, deren Tarifvertrag verdrängt wird, vom Arbeitgeber oder Arbeitgeberverband die Nachzeichnung der Rechtsnormen des TV verlangen. In diesem Fall findet der Mehrheitstarifvertrag auch auf die Beschäftigten, die der Minderheitsgewerkschaft im Betrieb angehören, unmittelbar und zwingend Anwendung. 

Der Arbeitgeber oder der Arbeitgeberverband, der mit einer Gewerkschaft Tarifverhandlungen aufnimmt, muss die Aufnahme der Tarifverhandlungen nach 

§ 4a Abs. 5 S. 1 TVG

 der konkurrierenden Gewerkschaft „rechtzeitig und in geeigneter Weise“ bekanntgeben. Eine bestimmte Form für die Bekanntgabe sieht das Gesetz nicht vor. Aus Beweisgründen ist allerdings eine Bekanntgabe zumindest in Textform empfehlenswert. Eine unterbliebene oder fehlerhafte arbeitgeberseitige Bekanntgabe führt nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG, Urteil v. 11. Juli 2017, 

1 BvR 1571/15

) dazu, dass die Verdrängungswirkung des Mehrheitsvertrages nicht eintritt. Die konkurrierende Gewerkschaft – in der Praxis regelmäßig die Minderheitsgewerkschaft – darf ihre Tarifforderungen der Arbeitgeberseite nach der Bekanntgabe dann gemäß 

§ 4a Abs. 5 S. 2 TVG

 mündlich vortragen.

Der Arbeitgeber kann Arbeitskampfmaßnahmen mehrere Gewerkschaften ausgesetzt sein

In der Praxis sind Arbeitgeber oftmals gezwungen, sich mit dem Thema der Tarifkollision auseinanderzusetzen. Dies zeigt zum einen der Tarifkonflikt bei der DB.  Hier konkurrieren die Gewerkschaften EVG und GDL – regelmäßig geht es um die Frage, welche der beiden Gewerkschaften mit den noch besseren Tarifbedingungen die meisten Gewerkschaftsmitglieder im jeweiligen Betreib der DB für sich gewinnen kann. 

Die Frage der Tarifkollision wird aber auch dann praktisch relevant, wenn eine Gewerkschaft versucht, gegenüber einem verbandsangehörigen Arbeitgeber den Abschluss eines Haustarifvertrags zu erstreiken. Nach der Rechtsprechung (BAG, Urteil v. 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02) ist ein Streik auf Abschluss eines Haustarifvertrages auch gegen einen verbandsangehörigen Arbeitgeber zulässig. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Streik von einer Gewerkschaft ausgeht, mit der bereits der Verbandstarifvertrag abgeschlossen ist. In diesem Fall steht die Friedenspflicht einem Streik der tarifschließenden Gewerkschaft entgegen, allerdings auch nur dann, wenn es um Regelungsgegenstände geht, die von dem (noch) geltenden Tarifvertrag bereits erfasst sind. Ob dies der Fall ist, muss dann für das jeweilige Tarifwerk (ggf. durch Auslegung) ermittelt werden. 

Sollten verbandsangehörige Arbeitgeber in Erwägung ziehen, einen Haustarifvertrag abzuschließen, sollte neben der Frage der Tarifkollision vor allem die Satzung des Arbeitgeberverbandes näher beleuchtet werden.  Satzungen von Arbeitgeberverbänden untersagen verbandsangehörigen Arbeitgebern regelmäßig den Abschluss konkurrierender oder ergänzender Haustarifverträge. Zwar wirkt eine solche Regelung (nur) zwischen Arbeitgeber und Arbeitgeberverband und nicht gegenüber der Gewerkschaft, sodass der Haustarifvertrag wirksam ist (BAG, Urteil v. 10. Dezember 2002 – 1 AZR 96/02). Allerdings verstößt der Arbeitgeber mit dem Abschluss des Haustarifvertrages gegen seine Verbandspflichten und riskiert so ggf. Verbandsstrafen. Insoweit ist eine vorherige Abstimmung mit dem Arbeitgeberverband empfehlenswert. Freilich sind vor einem solchem Schritt auch sonstige betriebliche und einzelvertragliche Regelungen einer Prüfung zu unterziehen. 

In unserer Serie veröffentlicht haben wir bereits einen Überblick über das Thema Arbeitskampf und einem Beitrag zu den Anforderungen auf Gewerkschaftsseite. Es folgten Beiträge zu den Folgen für die Vergütungs- und Beschäftigungspflicht, zu den Vorbereitungen auf und dem Verhalten beim Arbeitskampf und zum Rechtsschutz gegen Arbeitskampfmaßnahmen. Zuletzt haben wir über die Besonderheiten beim Haustarifvertrag berichtet.

Ergänzend hierzu weisen wir Sie gerne auf unseren Podcast zu diesem Thema hin, den Sie hier finden.

* Gemeint sind Personen jeder Geschlechtsidentität. Um der leichteren Lesbarkeit willen wird im Beitrag die grammatikalisch männliche Form verwendet.

 

Dieser Beitrag wurde zuerst auf dem CMS-Blog veröffentlicht.

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