Homeoffice-Arbeit und mobile Tätigkeit werden immer selbstverständlicher. Was aber, wenn ein Arbeitgeber bei diesem Trend nicht mitziehen will? Muss er das?
Viele Arbeitnehmer* dürften es – wie die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie eindrucksvoll zeigen – bevorzugen, aus dem Homeoffice heraus oder mobil zu arbeiten, statt jeden Morgen zur Arbeitsaufnahme in der Betriebsstätte des Arbeitgebers zu erscheinen. Jedoch bestimmt im Grundsatz der Arbeitgeber und nicht der Arbeitnehmer den Ort der Arbeitsleistung (§ 106 S. 1 GewO). Gibt es Ausnahmen von diesem Grundsatz?
Homeoffice wurde zum Normal- und Regelfall
Seit dem Jahr 2020 wird kontrovers über die Einführung eines gesetzlichen Individualanspruchs auf eine Tätigkeit im Homeoffice diskutiert. In der 19. Legislaturperiode des Deutschen Bundestages hat das SPD-geführte BMAS zwei Referentenentwürfe für eine entsprechende Gesetzesänderung angestoßen, die beide am Widerstand der Union scheiterten (dazu: Grimm/Singraven, Digitalisierung und Arbeitsrecht, Rz. 1.9). Allerdings mussten Arbeitgeber während der Corona-Pandemie eine Tätigkeit im Homeoffice aus Gründen des Infektionsschutzes grds. ermöglichen (vgl. § 28b Abs. 4 IfSG a.F.) und taten dies – auch aus eigenem Antrieb – in einem nicht unerheblichen Umfang. Etwa ein Viertel aller Beschäftigten arbeitete in dieser Zeit überwiegend oder vollständig außerhalb der Betriebsstätte (vgl. ifo Institut/infas, Themenreport Corona-Datenplattform Juli 2021, Homeoffice im Verlauf der Corona-Pandemie, S. 6). Für viele Arbeitnehmer verkehrte sich der Ausnahmefall der Tätigkeit aus dem Homeoffice in den Normal- und Regelfall.
Viele Betriebe haben die Erfahrung gemacht, dass die Arbeit aus dem Homeoffice tatsächlich gut funktioniert. Angesichts dieser Erfahrung und des geänderten gesellschaftlichen Leitbildes stellt sich – mehr noch als in der Vergangenheit – nunmehr die Frage, ob sich aus Fürsorgepflichten des Arbeitgebers – auch ohne gesetzliche Regelung – ein Individualanspruch des Arbeitnehmers auf eine Tätigkeit aus dem Homeoffice ergeben kann.
LAG Köln: Arbeitgeber sind nicht dazu verpflichtet, ein Homeoffice-Modell neu einzuführen
Das LAG Köln hat am 12. Januar 2022 (Az. 3 Sa 540/21) über die Klage einer schwerbehinderten Arbeitnehmerin entschieden, die verlangte, nur noch im Homeoffice beschäftigt zu werden. Für ihr Anliegen hatte die Arbeitnehmerin prinzipiell gute Gründe: Aufgrund ihrer gesundheitlichen Verfassung war sie nicht mehr dazu in der Lage, täglich in der Betriebsstätte zur Arbeit zu erscheinen, und ihr drohte deshalb die Arbeitslosigkeit.
Der Arbeitgeber betrieb mehrere Arztpraxen. Eine Tätigkeit aus dem Homeoffice ermöglichte er generell nicht; es fehlte deshalb an technischen Systemen, um eine Arbeit aus dem Homeoffice zu koordinieren. Die Arbeitnehmerin war nach ihrem Arbeitsvertrag als medizinische Fachangestellte tätig. Ihre Aufgabe bestand in der Assistenz der Ärzte, dem Patientenempfang sowie der Unterstützung bei der Diagnostik. Im Arbeitsvertrag der Arbeitnehmerin waren zwei Arztpraxen als fester Arbeitsort vereinbart.
Die Arbeitnehmerin litt an Multipler Sklerose; sie war mit einem GdB von 50 schwerbehindert. Nach einer längeren Krankheit konnte sie ihre bisherige Arbeit nicht mehr ausüben. Im Rahmen des BEM diskutierten die Parteien, ob die Tätigkeit der Arbeitnehmerin leidensgerecht so verändert werden könne, dass diese künftig aus dem Homeoffice nur noch Verwaltungstätigkeiten übernehme, z.B. Betreuung der Telefonzentrale, Übernahme von Terminvereinbarungen sowie Erledigung der Praxiskorrespondenz. Letztlich lehnte der Arbeitgeber dies ab.
Die Arbeitnehmerin erhob deshalb Klage und beantragte, den Arbeitgeber zu verurteilen, ihr die gewünschte neue Homeoffice-Tätigkeit zuzuweisen.
Das ArbG Siegburg wies die Klage ab. Die beim LAG Köln von der Arbeitnehmerin eingelegte Berufung war erfolglos. Für eine Änderung der Tätigkeit und insbesondere für eine Arbeit aus dem Homeoffice sah das Gericht keine Anspruchsgrundlage.
Ein Anspruch auf die begehrte Beschäftigung folge nicht aus der Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers (§ 241 Abs. 2 BGB). Selbiger scheide aus, da der Arbeitgeber der Arbeitnehmerin in Ausübung seines Direktionsrechts die Tätigkeit im Homeoffice gleich aus mehreren Gründen gar nicht hätte zuweisen dürfen: Die Arbeitnehmerin sei als medizinische Fachangestellte beschäftigt. Die begehrte Verwaltungsarbeit im Homeoffice entspreche nicht dem Tätigkeitsbild einer medizinischen Fachangestellten; sie sei deshalb vertragsfremd. Die begehrte Tätigkeit im Homeoffice sei zudem geringwertiger und werde üblicherweise geringer vergütet. Außerdem seien die Praxen als Arbeitsort fest vereinbart gewesen, nicht aber das Homeoffice.
Auch unter Berücksichtigung der Schwerbehinderung ergebe sich kein Anspruch. Zwar könnten Schwerbehinderte nach § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX unter bestimmten Gesichtspunkten auch eine vertragsfremde Beschäftigung fordern. Ein solcher Anspruch bestehe aber nicht, soweit dies für den Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre (§ 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX). Insbesondere müsse der Arbeitgeber keinen zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen und nicht benötigten Arbeitsplatz dauerhaft einrichten. Ein technisches System, das die Tätigkeit aus dem Homeoffice ermöglichen würde, bestehe bei dem Arbeitgeber nicht. Selbst wenn der Arbeitgeber öffentliche Zuschüsse erhalten würden, wäre er trotzdem nicht verpflichtet, einen solchen bislang nicht bestehenden Arbeitsplatz einzurichten.
Wann können Arbeitnehmer einen Anspruch auf Homeoffice haben?
Der Entscheidung des LAG Köln ist zuzustimmen. Bislang erkennen die Arbeitsgerichte Ansprüche auf eine Tätigkeit aus dem Homeoffice von Arbeitnehmern nicht an, wenn sie allein auf die allgemeine Fürsorge- und Rücksichtnahmepflicht des Arbeitgebers gestützt werden (vgl. LAG München, Urteil v. 26. August 2021 – 3 SaGa 13/21; LAG Köln, Urteil v. 24. Mai 2016 – 12 Sa 677/13; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 18. Dezember 2014 – 5 Sa 378/1). Der Umstand, dass mittlerweile viele Unternehmen in Deutschland eine Tätigkeit aus dem Homeoffice und/oder eine mobile Arbeit ermöglichen, ändert daran nichts. Arbeitnehmer haben keinen Anspruch darauf, dass ihr Arbeitgeber bei entsprechenden aktuellen HR-Trends „mitzieht“.
Ein Anspruch auf eine Tätigkeit aus dem Homeoffice ist allerdings denkbar, wenn der Arbeitgeber ein entsprechendes Modell betrieblich etabliert und technische Systeme für die Arbeit im Homeoffice eingerichtet hat. In diesem Fall kann der Arbeitgeber aus dem allgemeinen arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, einer Gesamtzusage oder einer Betriebsvereinbarung verpflichtet sein, bestimmten Mitarbeitern die Teilhabe an diesem Modell zu ermöglichen.
Wie das LAG Köln in seiner Begründung richtig erkannt hat, wäre in einem solchen Fall auch denkbar, dass schwerbehinderten Arbeitnehmern nach § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX eine Tätigkeit aus dem Homeoffice erlaubt werden muss, wenn sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr stationär in der Betriebsstätte des Unternehmens arbeiten können. Da der Arbeitgeber im vom LAG Köln entschiedenen Fall allerdings generell kein Homeoffice-Modell etabliert bzw. kein solches umgesetzt hat, hat das Gericht die Klage der Arbeitnehmerin zu Recht abgewiesen.
Ihre gegen die Entscheidung des LAG Köln eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat die zweitinstanzlich unterlegene Arbeitnehmerin mittlerweile zurückgenommen; das Urteil ist folglich rechtskräftig.
Im Koalitionsvertrag ist ein Anspruch auf Homeoffice angedacht
Nach der derzeitigen Rechtslage ist es weitgehend als gesichert zu bezeichnen, dass Arbeitnehmer ihren Arbeitgeber nicht gerichtlich dazu verpflichten können, ein Homeoffice-Modell einzuführen oder ihnen eine Tätigkeit aus dem Homeoffice zu ermöglichen, wenn dies bislang beim Arbeitgeber nicht existierte bzw. nicht angeboten wurde. Dies gilt unabhängig davon, welche gesundheitlichen, familiären oder sonstigen privaten Bedürfnisse die Arbeitnehmer zur Herleitung einer Tätigkeit aus dem Homeoffice anführen.
Auch der Betriebsrat hat kein Initiativrecht, mit dem er die Neueinführung einer Arbeit aus dem Homeoffice verlangen könnte (vgl. § 87 Abs. 1 Nr. 14 BetrVG; dazu BT-Drucks. 19/28899, S. 23; Grimm/Singraven, Digitalisierung und Arbeitsrecht, Rz. 1.43).
Allerdings kann sich die Rechtslage – ggf. auch kurzfristig – ändern. Im Koalitionsvertrag für die laufende Legislaturperiode hat die Regierungskoalition die Einführung eines (eingeschränkten) Anspruchs auf eine Tätigkeit im Homeoffice angedacht (Koalitionsvertrag, S. 68 f.). Wie es rechtspolitisch in diesem Zusammenhang weitergeht, bleibt allerdings abzuwarten.
*Gemeint sind Beschäftigte jeder Geschlechtsidentität. Lediglich der leichteren Lesbarkeit halber wird künftig bei allen Bezeichnungen nur noch die grammatikalisch männliche Form verwendet.
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