Am 10. Januar 2023 versetze die Entscheidung des BGH in Sachen Volkswagen (Az.: 6 StR 133/22) Unternehmen in Aufruhr: Das Gericht hatte entschieden, dass Manager*, die ihren Betriebsräten eine zu hohe Vergütung gewähren, wegen Untreue strafrechtlich belangt werden können.
In ihrer Konsequenz wurden auch die seit Jahren bestehenden Forderungen nach einer Klarstellung durch den Gesetzgeber, wie Betriebsräte ordnungsgemäß zu vergüten sind, immer lauter. Dem ist der Bundesminister für Arbeit und Soziales gefolgt. Im Mai 2023 setzte er eine dreiköpfige Kommission „Rechtssicherheit in der Betriebsratsvergütung“ ein. Die Ergebnisse dieser Kommission haben Anfang November 2023 – inhaltlich unverändert, aber sprachlich geringfügig angepasst – Eingang in den „Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes“ gefunden. Am 25. Juli 2024 ist das Gesetz nun endlich in Kraft getreten (Bundesgesetzblatt Teil I – Zweites Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes).
Ziel des Gesetzes: Klarstellung
Ausgangspunkt der Bestimmung der richtigen Betriebsratsvergütung sind unverändert der Anspruch auf Entgeltfortzahlung (§ 37 Abs. 2 BetrVG) sowie das Verbot der unzulässigen Benachteiligung und Begünstigung von Betriebsratsmitgliedern (§ 78 S. 2 BetrVG), das durch das Ehrenamtsprinzip (§ 37 Abs. 1 BetrVG) konkretisiert wird. Dabei kann sich unmittelbar aus § 78 S. 2 BetrVG i.V.m. § 611a Abs. 2 BGB ein Anspruch des Betriebsratsmitglieds auf eine bestimmte Vergütung ergeben, wenn sich die Zahlung einer geringeren Vergütung als Benachteiligung des Betriebsratsmitglieds wegen seiner Betriebsratstätigkeit darstellt.
Die Neuregelung umfasst eine Änderung des § 37 Abs. 4 BetrVG sowie des § 78 S. 2 BetrVG . Allerdings erfolgt keine vollkommen neue Regelung, insbesondere wird an dem Ehrenamtsprinzip festgehalten. Die Änderungen sollen vielmehr klarstellender Natur sein: teils, weil sie die Rechtsprechung des BAG in eine gesetzliche Regelung übernehmen, teils weil sie bislang durch das BAG aufgeworfene, aber noch nicht eindeutig entschiedene Fragen aufgreifen.
Anpassung des § 37 Abs. 4 BetrVG: Zeitpunkt der Vergleichsgruppenbildung
Nach § 37 Abs. 4 BetrVG kann die Erhöhung der Vergütung eines Betriebsratsmitglieds unter dem Gesichtspunkt der betriebsüblichen beruflichen Entwicklung vergleichbarer Arbeitnehmer geboten sein. Die Regelung setzt die Bestimmung der mit dem Betriebsratsmitglied vergleichbaren Arbeitnehmer voraus. Als maßgeblichen Zeitpunkt legt das Gesetz in Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtsprechung des BAG (Urteil v. 23. November 2022 – 7 AZR 122/22) den Zeitpunkt der Amtsübernahme fest. Bis dahin ist das Betriebsratsmitglied noch vollumfänglich seiner arbeitsvertraglich geschuldeten Tätigkeit nachgegangen.
Neubestimmung der Vergleichsgruppe
Liegt ein sachlicher Grund vor, kann die Vergleichsgruppe nach der gesetzlichen Neuregelung allerdings zu einem späteren Zeitpunkt neu bestimmt werden. Ein solcher Grund kann ausweislich der Gesetzesbegründung insbesondere der berufliche Aufstieg eines Betriebsratsmitglieds sein.
Die Möglichkeit der Neubestimmung der Vergleichsgruppe war bislang weder im Gesetz geregelt noch vom BAG ausdrücklich entschieden worden. Das BAG hatte bislang schlicht nicht über einen solchen Sachverhalt zu entscheiden. Die Möglichkeit einer solchen Neubestimmung ergibt sich auch nicht aus der in der Begründung zum Gesetz genannten Entscheidung des BAG vom 23. November 2022 (Az.: 7 AZR 122/22). Denn in dieser Entscheidung stellten die Erfurter Richter lediglich fest, dass sich ein Betriebsratsmitglied seiner Vergleichsgruppe begeben kann, wenn es mit dem Arbeitgeber in zulässiger Weise eine Vereinbarung schließt, die zu einer Änderung der für die (ursprüngliche) Vergleichbarkeit maßgeblichen Tätigkeit führt. Die Frage nach der Möglichkeit der Neubestimmung der Vergleichsgruppe stellte sich in dem zu entscheidenden Sachverhalt allerdings nicht, so dass sich das BAG hierzu auch nicht positionieren musste.
Die im Gesetz nunmehr vorgesehene Möglichkeit, die Vergleichsgruppe neu zu bestimmen und hierdurch auf eine Änderung der für die Vergleichsgruppenbildung maßgeblichen Umstände reagieren zu können, ist zu begrüßen. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass Veränderungen zugunsten des Betriebsratsmitglieds Berücksichtigung finden und eine unzulässige Benachteiligung vermieden wird.
Fehlen von Vergleichspersonen
Nicht im Wortlaut des Gesetzes, aber in seiner Begründung finden sich Hinweise zum Vorgehen bei Fehlen von Vergleichspersonen in dem Betrieb, dem das Betriebsratsmitglied zugeordnet ist. In diesem Fall soll auf vergleichbare Arbeitnehmer eines anderen Betriebs desselben Unternehmens abgestellt werden können.
Dieser Ansatz lässt allerdings die Betriebsbezogenheit des § 37 Abs. 4 BetrVG außer Acht, der ausdrücklich auf die Arbeitnehmer mit betriebsüblicher beruflicher Entwicklung abstellt. Der Wortlaut des § 37 Abs. 4 S. 1 BetrVG und damit die Betriebsbezogenheit bleiben von den Änderungen jedoch unberührt. Damit läge in einer Berücksichtigung von Vergleichsgruppen außerhalb des Betriebs ein Widerspruch zu der Betriebsbezogenheit der Gehaltsentwicklung.
Zudem führt diese Lösung zu unbilligen Ergebnissen, denn sie übersieht, dass auch in unterschiedlichen Betrieben eines Unternehmens unterschiedliche Gehaltsniveaus gelten können. Wird aber die Vergleichsgruppe aus Arbeitnehmern eines anderen Betriebs gebildet und das Gehaltsniveau in diesem Betrieb insgesamt erhöht, käme diese Gehaltserhöhung auch dem Betriebsratsmitglied zugute, selbst wenn das Gehaltsniveau in dem Betrieb, dem es zugeordnet ist, unverändert bliebe. Gleiches gilt für Sonderzahlungen oder sonstige Vergütungsbestandteile, die nur in dem Betrieb gewährt werden, dem die Vergleichspersonen zugeordnet sind, nicht aber in dem Betrieb, dem das Betriebsratsmitglied zugeordnet ist. Dies birgt die Gefahr einer unzulässigen Begünstigung der Betriebsratsmitglieder.
Insoweit überzeugen die Ausführungen in der Begründung nicht.
Möglichkeit konkretisierender Regelungen
Die Regelung des § 37 BetrVG ist zwingend und weder individualvertraglich noch kollektivvertraglich abdingbar (BAG, Urteil v. 18. Januar 2017 – 7 AZR 205/15). In der Praxis finden sich aber durchaus Vereinbarungen über ein Verfahren zur Bildung der Vergleichsgruppe, insbesondere zur Regelung der für die Vergleichbarkeit maßgeblichen Kriterien und zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer. Solche (konkretisierenden) Vereinbarungen sind zulässig, mussten allerdings nach bisheriger Rechtsprechung des BAG die gesetzlichen Vorgaben zur Betriebsratsvergütung beachten; andernfalls waren sie nichtig (BAG, Urteil v. 18. Januar 2017 – 7 AZR 205/15). Derartige Vereinbarungen unterlagen mithin der vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit.
Diese Rechtsprechung greift das neue Gesetz auf und passt zugleich den Prüfungsmaßstab an. Es sieht ausdrücklich die Möglichkeit vor, durch Betriebsvereinbarung ein Verfahren zur Festlegung vergleichbarer Arbeitnehmer zu regeln und auf dieser Grundlage die konkreten Vergleichspersonen durch Vereinbarung zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber festzulegen. Sowohl eine solche Betriebsvereinbarung als auch die Vereinbarung zur Festlegung der konkreten Vergleichspersonen kann nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden. Den Betriebsparteien kommt so ein Beurteilungsspielraum zu. Die Grenzen des Beurteilungsspielraums zur Regelung eines Verfahrens zur Festlegung der vergleichbaren Arbeitnehmer sollen nach der neuen gesetzlichen Regelung insbesondere dann überschritten sein, wenn die Vereinbarung die durch die Rechtsprechung des BAG vorgegebenen Kriterien der Vergleichbarkeit missachtet. Dies ist der Fall, wenn die Vereinbarung sachwidrige Kriterien zur Festlegung der Vergleichbarkeit nennt, wesentliche Kriterien unbeachtet lässt, die Kriterien nicht in ein angemessenes Verhältnis zueinander setzt oder eindeutig fehlerhaft gewichtet. Die Grenzen des Beurteilungsspielraums zur Festlegung der konkreten Vergleichspersonen sind wiederum überschritten, wenn die in der Betriebsvereinbarung aufgestellten Vergleichsgruppenkriterien missachtet werden.
Diese Klarstellung ist zu begrüßen, denn solche Vereinbarungen können das Verfahren der Vergleichsgruppenbildung transparent gestalten und auf diese Weise das Verständnis und die Akzeptanz der betroffenen Arbeitnehmer bzw. Betriebsratsmitglieder fördern. Durch die Aufnahme in das Gesetz bleibt zu hoffen, dass (noch) mehr Unternehmen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Warum die Privilegierung beim Prüfungsmaßstab allerdings einer Betriebsvereinbarung vorbehalten bleibt und nicht auch z.B. im Fall einer Regelungsabrede greift, bleibt offen. Erforderlich ist eine solche Beschränkung nicht.
Anpassung des § 78 BetrVG: Konkrete Kriterien für eine benachteiligungs- und begünstigungsfreie Entgeltgewährung
Der Arbeitgeber muss dem Betriebsratsmitglied eine berufliche Entwicklung gewährleisten, die derjenigen entspricht, die es ohne Amtstätigkeit durchlaufen hätte (BAG, Urteil v. 22. Januar 2020 – 7 AZR 222/19). § 78 S. 2 BetrVG steht insoweit als eigenständige Anspruchsgrundlage neben § 37 Abs. 4 BetrVG (BAG, Urteil v. 22. Januar 2020 – 7 AZR 222/19).
Das neue Gesetz nennt nunmehr Kriterien, an denen sich die benachteiligungs- und begünstigungsfreie Entgeltgewährung orientieren kann. Voraussetzung ist demnach, dass ein Betriebsratsmitglied die für die Gewährung des Arbeitsentgelts erforderlichen betrieblichen Anforderungen und Kriterien erfüllt. Ausweislich der Begründung des Gesetzes bedeutet dies für einen fiktiven Beförderungsanspruch, dass (1) eine konkret zu besetzende Position vorhanden sein muss, (2) das Betriebsratsmitglied über die Qualifikationen für diese Position verfügen muss und (3) ein anderer Bewerber aus Sicht des Arbeitgebers aus sachlichen Gründen nicht vorzugswürdig sein darf. Erforderlich ist eine plausible und nachvollziehbare Eingruppierung, die auch auf subjektiven, diskriminierungsfreien Einschätzungen und Bewertungen beruhen darf. Ermessensfehlerhaft ist die Entgeltgewährung hingegen dann, wenn die Parteien vernünftigerweise nicht davon ausgehen konnten, eine zutreffende Bewertung einer hypothetischen beruflichen Entwicklung getroffen zu haben.
Hier verbleibt ein gewisser Interpretationsspielraum, was nicht zuletzt dem Umstand geschuldet ist, dass der Bewertung einer hypothetischen beruflichen Entwicklung immer (auch) individuelle Gegebenheiten zugrunde liegen, die sich in einem Gesetz kaum in einer verallgemeinerungsfähigen Form abbilden lassen.
Berücksichtigung von Fähigkeiten und Kenntnissen aus der Betriebsratstätigkeit
Die Begründung des Gesetzes stellt zudem klar, dass bei der Stellenbesetzung grundsätzlich auch die durch und während der Amtstätigkeit erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen Berücksichtigung finden sollen. Dies soll jedenfalls dann gelten, wenn diese sowohl für den betrieblichen Aufstieg als auch für die Vergütung relevant sind. Nicht berücksichtigungsfähig soll aber sein, was in unzulässiger Weise an die Betriebsratstätigkeit anknüpft. Beispielhaft nennt die Begründung des Gesetzes in Anlehnung an die Entscheidung des BGH vom 10. Januar 2023 (Az.: 6 StR 133/22) ein Verhandeln auf Augenhöhe, die Wahrnehmung komplexer Aufgaben oder die Einbindung in unternehmerische Entscheidungskomplexe.
Die Frage der Berücksichtigung solcher Fähigkeiten ist bislang höchst umstritten und wird – jedenfalls von den Instanzengerichten – derzeit unterschiedlich bewertet (z.B. ArbG Emden, Urteil v. 5. Juli 2023 – 2 Ca 280/22; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil v. 12. Januar 2023 – 2 Sa 116/22).
Die Abgrenzung dürfte in der Praxis auch nach Inkrafttreten der Neuregelung schwierig bleiben. Zudem dürfte die Berücksichtigung der durch und während der Amtstätigkeit erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen nur im Rahmen des § 78 S. 2 BetrVG relevant werden, nicht aber bei der Vergleichsgruppenbildung nach § 37 Abs. 4 BetrVG. Hierfür spricht, dass diese Ausführungen in der Gesetzesbegründung ausschließlich in der Begründung zur Änderung des § 78 BetrVG stehen. Allerdings wäre eine Berücksichtigung auch im Rahmen des § 37 Abs. 4 BetrVG jedenfalls bei der nach dem Gesetz nunmehr möglichen Neubestimmung der Vergleichsgruppe nicht per se ausgeschlossen. Denn zwar können solche Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen bei der Bildung der Vergleichsgruppe im Zeitpunkt der Amtsübernahme denklogisch noch nicht vorliegen. Wird die Vergleichsgruppe aber zu einem späteren Zeitpunkt neu bestimmt, kann das Betriebsratsmitglied bis zu diesem Zeitpunkt durchaus Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen durch und während der Amtstätigkeit erworben haben.
Das Gesetz zur Änderung des Betriebsverfassungsgesetzes bleibt hinter seinen Möglichkeiten
Insbesondere die umfangreiche Gesetzesbegründung dürfte für die Praxis auch im Umgang mit bislang durch das BAG noch nicht entschiedene Fragen, z.B. die der Möglichkeit der Berücksichtigung der durch und während der Amtstätigkeit erworbenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Qualifikationen, mehr Orientierung und damit Sicherheit bei der Bemessung der Vergütung von Betriebsratsmitgliedern bieten.
Ungeachtet der Frage, warum diese Klarstellung keinen Eingang in den Gesetzeswortlaut gefunden hat, bleibt das Gesetz aber hinter seinen Möglichkeiten zurück. So verpasst der Gesetzgeber die Möglichkeit einer Klarstellung des Verhältnisses zwischen dem Entgeltschutz aus § 37 Abs. 4 BetrVG und dem in § 37 Abs. 5 BetrVG geregelten Tätigkeitschutz. Denn die sich aus dem Tätigkeitsschutz ergebende Beschäftigungspflicht ist bei fehlenden Kenntnissen und Fähigkeiten für die für die Vergütung nach § 37 Abs. 4 BetrVG relevante Tätigkeit in der Praxis wenig realistisch. Auch die Frage, was bei fehlgeschlagener Fort- und Weiterbildung nach Abschluss der Betriebsratstätigkeit passiert, bleibt offen. Hier wären weitere Klarstellungen wünschenswert gewesen.
Dieser Beitrag wurde zuerst auf dem CMS-Blog veröffentlicht.